Angedacht

Gesichter
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Wer sich gegen die staatliche Ordnung auflehnt, lehnt sich gegen die Anordnung Gottes auf. (Römerbrief 13,2 nach der Basisbibel)

Liebe Leserin, lieber Leser,

Wie kommt der Apostel Paulus zu solch einem Satz? Mehr noch. Im selben Kapitel sagt er: „Es gibt keine staatliche Behörde, die nicht von Gott gegeben ist.“ Sollen Christenmenschen also jeder staatlichen Anordnung blind gehorchen? Wenn Staaten wie Nordkorea, China, Iran, Russland oder damals Hitler-Deutschland Menschenrechtsverletzungen, Hassverbrechen und Krieg begehen, sollen die Christen dort sagen: Dagegen lehnen wir uns nicht auf, denn es kommt von einer göttlichen Obrigkeit?

Das ist schwer vorstellbar. Und doch, wer nur das Kapitel 13 im Römerbrief liest, wird genau zu diesem Schluss kommen. Daher konnte auch Martin Luther während der Bauernkriege so furchtbare Sätze sagen wie: Einen aufständischen Bauern totzuschlagen, ist eines jeden Christen Pflicht! Und wie viele evangelische Christen sahen in Hitler den von Gott gesandten Heilsbringer und gehorchten ihm blind? Hitler ist 1933 nicht durch die linken oder katholischen Wähler.innen zum Reichskanzler gewählt worden, sondern durch die überwältigende Mehrheit der Bürgerlich-Evangelischen. Die Sätze Paulus haben über die Jahrhunderte hinweg dazu beigetragen, dass Christen sich massiv schuldig machten an unwidersprochenen Gräueltaten von Gewaltherrschern.

Wie kommt also Paulus zu solch verhängnisvollen Sätzen? Er will die jungen Christengemeinden schützen. Hätten sie sich gegen die römischen Autoritäten gestellt, wären sie ausgelöscht worden. Mit diesen Sätzen rät Paulus: Fallt bloß nicht auf! Seid die vorbildlichsten Staatsbürger im römischen Reich. Und das aus gutem Grund. Denn die Christinnen und Christen führten ein Leben, das der unterdrückerischen Herrschaft der Römer widersprach. Paulus sagt: Bei uns „spielt es keine Rolle mehr, ob ihr Juden seid oder Griechen, Sklaven oder freie Bürger, Männer oder Frauen.“ (Galater 3,28). Wir leben Geschlechtergerechtigkeit und Gleichberechtigung zwischen In- und Ausländern, Skeptikern und Frommen und zwischen Arm und Reich. Und das Ganze nennt er: Die Gemeinde Gottes. Im Griechischen die „Ekklesia“ Gottes. Und Ekklesia heißt: Volksversammlung oder Parlament. Paulus gibt seiner Gemeinde einen bewusst politischen Namen. Er macht sie damit zum politischen Gegenentwurf zur römischen Diktatur.

Paulus ist also geschickt unterwürfig und gleichzeitig revolutionär umstürzlerisch zugleich. Er rät uns in Diktaturen nach Außen mitzuspielen, aber im Verborgenen an einer anderen Welt zu arbeiten. An der Welt, wo Liebe herrscht. Daher könnte er uns Heutigen wohl raten: Wo das Recht einen Staat lenkt, wo vor dem Gesetz und vor der Wahlurne nicht zwischen Mann und Frau, Inländer oder Ausländer, Reich oder Arm unterschieden wird, weil alle gleichberechtigt sind, da gilt auch meine Forderung: Dieser staatlichen Ordnung bist Du verpflichtet zu gehorchen und alles zu tun, damit das höchste Ziel erreicht wird, die göttliche Würde jedes Menschen zu bewahren.

Herzlich grüßt in stürmischen Zeiten
Ihr Pfarrer Matthias Leibach